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  Reinhart Behr:   Blick zum Mond - Vorwort -

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Vorwort

Die Nacht zum 21. Juli 1969, vor bald dreißig Jahren, werde ich nicht vergessen. Ein kleines Hotel an der französischen Atlantikküste. In einem engen Raum drängen sich die Gäste vor dem Fernsehschirm, um die Landung der ersten Menschen auf dem Mond mitzuerleben.

Nach der Sendung treten alle auf den Balkon, um Luft zu schöpfen. Vor uns das Meer, glänzend im Licht des Mondes. Ich blicke zum Mond. Träume ich? Dort oben laufen nun also Armstrong und Aldrin herum! Merkwürdig, dass keiner der anderen zum Mond blickt. Das auf dem Bildschirm Wahrgenommene wird offenbar wie ein Film aufgenommen und hat keine Verbindung mehr zur direkt erlebten Wirklichkeit.

Überraschend ist dies nicht. dass Menschen sich außerhalb der Erde bewegen würden, hielten vor fünfzig Jahren nur verlachte Außenseiter für möglich. Heute hingegen erwarten wir, der Mensch würde durch Naturwissenschaft und Technik die kühnsten Träume von einst verwirklichen.

Wir selbst aber fühlen uns hierbei ausgeklammert. Wir meinen, dass die Erfahrung unserer Stellung im Weltraum etwas mit hoch entwickelter Technik zu tun hat, nur indirekt vermittelbar. Wir trauen - zu Unrecht - nicht mehr unserer eigenen Vorstellungs - und Urteilskraft.

Das gab den Anlass für dieses Buch, lange geplant, aber erst nun, nach dem Ende der Berufspflichten, verwirklicht. Es soll dem Leser ermöglichen, auf eigene alltägliche Beobachtungen gestützt, den historischen Weg nachzuvollziehen, der zur Erkenntnis unserer Stellung im Weltraum führte.

Im Vordergrund des Buches stehen nicht die schrittweise gewonnenen Fakten selbst. Diese werden bereits in anderen Büchern zur Astronomiegeschichte beschrieben. Vielmehr wird ausführlich der Prozess ihrer Gewinnung geschildert.

Erste Beobachtungen führten zu Fragen und Antworten, oft auch falschen. Dies wiederum regte zu Gedanken, neuen Fragen und neuen Beobachtungen an, usw. bis zum heutigen Erkenntnisstand.

Wer Astronomie unterrichtet, weiß, dass auch Schüler, von ihren eigenen Beobachtungen ausgehend und noch ohne die Vorkenntnisse der Erwachsenen, solche Fragen stellen und gerne Bezüge herstellen,die ihnen hierzu einfallen. Der geplagte Lehrer, um sein Pensum besorgt, kann hierauf kaum eingehen. Die Folge sind Frustationen und Erlahmen der Neugier bei den Schülern.

Für den Didaktiker Martin Wagenschein war diese elementare Neugier, gespeist vom Staunen-Können, die unandingbare Voraussetzung für wirkliches Verstehen. Dieses Buch trägt in seinem Geist dieser Neugier Rechnung, ebenso den Bezügen, die sich hieraus zu vielen anderen Gebieten ergeben, wie Kulturgeschichte, Erdkunde, Biologie, Kunst, Sprachen, Literatur und insbesondere auch Philosophie.

Der Übersicht wegen sind diese Bezüge vom Hauptgedankengang durch Kursivschrift abgehoben bzw. im Anhang behandelt. Am Ende des Buches findet sich eine Übersicht, nach Fächern geordnet.

Diese Bezüge können den Anstoß zu vielfachem Gedankenaustausch geben, zwischen Lehrern verschiedener Fächer und Schülern, ja allgemein zwischen Fachleuten und nachdenklichen Laien. Mit Rücksicht hierauf setzt das Buch durchgängig nur Kenntnisse aus den Mittelstufen der Schulen voraus und verwendert Fachausdrücke äußerst sparsam.

Einige Stellen erfordern vom Leser dennoch konzentriertes, sorgfältiges Mitverfolgen schwieriger Zusammenhänge. Ein Leser, dem dies ungewohnt ist, kann diese Stellen getrost zunächst überspringen, bis er hiermit mehr vertraut wird.

Bisweilen bleiben Fragen offen, ja werden gar Vermutungen statt gesicherter Erkenntnisse ausgesprochen. Anders als in wissenschaftlichen Publikationen soll hier ja die Lust geweckt werden, selbst, auch bei anderen Themen, mutiger Fragen zu stellen und Antworten zu suchen, so gewagt diese auch zunächst scheinen. Forschung ging nie anders vor. Die Bemühung um Absicherung ist immer erst der zweite, freilich genau so wichtige Schritt.




Das Buch gelangt bis zu neuesten Forschungen. Es gibt z.B. einen Einblick in die noch immer offene Frage, ob unser Sonnensystem stabil ist, d. h. ob es Störungen der Planetenbahnen selbst auszugleichen vermag. Ist es damit bis zu einem gewissen Grade einem lebendigen Wesen vergleichbar?

Unter Verwendung neuer Gebiete wie z. B. der Chaos-Theorie versucht man durch Computer-Simulationen der Frage näher zu kommen. Die Geduld hierzu haben manche pseudowissenschaftliche Autoren nicht. Für sie liegen hier geheimnisvolle Zusammenhänge vor, unserem Blick auf die reale Welt nicht zugänglich.
Hiervon grenzt sich das Buch deutlich ab. Es möchte vielmehr erreichen, dass wir uns wieder mehr der realen, jedem zugänglichen Welt öffnen. Sie ist spannend genug, wir bedürfen keiner Realitätsflucht.

Im Zeitalter der Renaissance, also vor vier- bis fünfhundert Jahren, war man sich dessen mehr bewußt. Warum? Damals löste sich der Mensch aus den geistigen Fesseln von Autoritäten, die er bis dahin ungefragt akzeptiert hatte. Erleben, Erkennen und Handeln bildeten nun eine Einheit und führten den Menschen zur Entdeckung ungeahnter eigener Kräfte zur Erkenntnis und Gestaltung seiner Welt.

Naturwissenschaft und Technik entstanden als eigene Gebiete und entwickelten sich zunehmend schneller. Damit entzogen sie sich aber bald immer mehr dem Verständnis des einfachen Menschen.

Die Selbstsicherheit des Renaissancemenschen haben wir also heute nicht mehr. Hierzu trug auch bei, dass man zu erkennen beginnt: Verantwortungsloser Umgang mit unseren technischen Möglichkeiten kann zu schweren, ja vielleicht unbehebbaren Schäden für unsere Erde führen.

Es hat daher gewichtige Gründe, wenn heute wieder viele, wie vor der Renaissancezeit, dem auf eigene Beobachtungen und Überlegungen gestützten Urteil mißtrauen und zu mystischen Welterklärungen Zuflucht nehmen. Verständlich ist dies, aber ebenso falsch wie gefährlich. Wir brauchen alle unsere eigene, an der realen Welt entwickelte Urteilskraft, um die von uns geschaffenen Probleme zu lösen. Keine "überirdische" Kraft kann uns dabei helfen.

Das Buch will etwas von dem Geist des Renaissancemenschen wieder wachrufen, der den Mut fand, Gelesenes an selbst Beobachtetem zu messen. Es will dies aber auf dem Hintergrund der schmerzvoll gewonnenen Einsicht in die Gefährlichkeit naiven Fortschrittsglaubens.

Es mag überraschen, dass sich nur wenige Fotos aus der Astronomie finden. Kann denn heute überhaupt ein Buch ohne prachtvolle Fotos erscheinen? Sind diese es nicht, die ein Thema überhaupt erst anschaulich und lebendig machen?

Hier wird kühn das Gegenteil behauptet. Fotos lassen uns immer nur Zuschauer sein, wie Fernsehgeräte. Sie berauben uns so der Chance, unsere eigene Vorstellungskraft zu benutzen.

Verwundern mag auch, dass keine Originaltexte und Zeichnungen früherer Astronomen gebracht werden, wie in der Astronomiegeschichte sonst üblich. Auch das geschieht jedoch bewußt. Allein das Einarbeiten in solche Texte und Figuren erfordert vom Leser einen erheblichen Einsatz und führt dadurch leicht dazu, dass der Kern der Erkenntnisschritte selbst verdeckt wird.

Am Schluß eines Vorwortes steht gewöhnlich ein Dank. Dieser gilt den vielen Schülern, denen ich als Lehrer des Berliner Beethoven-Gymnasiums Astronomie vermittelt habe. Sie ließen mit elementaren Fragen nicht locker und zwangen mich so, meine scheinbar so gesicherten Erkenntnisse immer wieder zu überprüfen.

Vester Skerninge/ Dänemark
Reinhart Behr

    
behr-a-r@mail.dk