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  Reinhart Behr:   Leben mit Mathematik - IV Erfahrungen ... -

 Inhalt  Vorwort  I: Rolle der Mathematik  II: Studienjahre  III: Referendariat  IV: Lehrberuf  V: Mathematik im Ruhestand

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noch IV c)-6-
Wird mit den Computern der Mathematik-Unterricht eine tiefgreifende Veränderung, sagen wir genauer ruhig, eine Verarmung erfahren?
Nicht zu bestreiten ist, dass - wie an dem Beispiel - durch Prozesse gewonnene geometrische Zusammenhänge leichter erschaubar sind als in der früheren, rein statisch betriebenen Geometrie. Wird aber damit nicht erkauft, dass die Notwendigkeit strenger Beweise immer weniger gesehen wird?

Wie viel Scharfsinn wurde früher in die Suche nach dem Integral von Funktionen gesteckt! In verblüffend vielen Fällen liefert der Computer, ist er nur mit dem passenden Programm ausgestattet, die Lösung! Mehr noch. Die Lösungsfunktion mancher Integrale ist bekanntlich oft überhaupt nicht durch die gewohnten Funktionen ausdrückbar. Ein Beispiel ist das Integral, welches den Umfang einer Ellipse liefern soll. Dies hat zu einem eigenen Zweig der Mathematik geführt, den elliptischen Funktionen. Diese wiederum haben die Mathematik allgemein bereichert, bis zum jüngsten Beweis der Fermatschen Vermutung.

Wer mit dem Computer vertraut ist, bemüht sich in einem Fall wie diesem überhaupt nicht mehr um die Lösungsfunktion. Ihm genügt ein Näherungsverfahren, mit dem der Computer mit jeder gewünschten Genauigkeit die jeweilige konkrete Lösung liefert. Wird so schließlich die Suche nach Integralen als überflüssig betrachtet werden, der Mathematik-Unterricht also auch darin tief greifend verändert werden?

Eine andere Beobachtung, auf dem Gebiet der Algebra, sei hier erwähnt. Junge, computerbegeisterte Kollegen verbringen zahllose Stunden bei der Bemühung, algebraische Ausdrücke auf den Bildschirm zu bringen und den Computer mit diesen arbeiten zu lassen.

Dies soll zur Entlastung bei der mathematischen Arbeit führen. Aber ist diese Entlastung wirklich so groß, wenn man die Zeit für die Einarbeitung in das Neue berücksichtigt? Ich habe meine Zweifel. Zu mehr habe ich sicher kein Recht, da ich nur Beobachter bin.

Zunehmend bemerke ich, dass junge Kollegen, tüchtige Mathematiker, die Verbesserung von Computer-Programmen zum Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Damit verdrängen sie, dass diese doch nur ein Hilfsmittel sein sollten.

Je mehr der Computer in die Schulen dringt, um so mehr ändert sich die Rolle des Lehrers. Er besitzt nicht mehr den früheren, riesigen Kenntnisvorsprung, sondern ist selbst immer mehr auch Lernender. Ja, er profitiert nicht selten von einem Kenntnisvorsprung bei Schülern. Die ab S. 35 vorgestellten Lehrertypen gehören damit zunehmend der Geschichte an.


Es wird allgemein - und meist wohl zurecht - darüber geklagt, dass Schüler vor Problemen stehend immer geringere Ausdauer und Sorgfalt bei ihrer Arbeit zeigen. Dies kann z. T. daran liegen, dass der Computer immer mehr langwierige, schematische Arbeit abnimmt und die Schüler daher dieser entwöhnt sind. Diese Tendenz wird verstärkt dadurch, dass ein moderner Computer selbst auf Schreibfehler hinweist.

In den Computer eingegebene Texte werden immer seltener vor der Weitergabe noch einmal durchgelesen, nicht nur bei mathematischen Texten. Wiedergaben aus fremden Sprachen in der Presse, selbst in Büchern, strotzen dadurch oft geradezu von Fehlern. In einem einzigen Absatz einer Zeitung las ich den Namen einer fremden Stadt in nicht weniger als drei Fassungen wiedergegeben. Welche ist nun die richtige? Die Nachlässigkeit scheint leider auch immer weniger Leser zu stören.

Jüngere Leser mögen über den Schwarzseher, der sich hier zeigt, den Kopf schütteln. Die Zukunft wird zeigen, ob die Bedenken übertrieben sind, aber auch, ob die Erwartungen des Nutzens des Computereinsatzes im Unterricht zu groß sind. Erinnert sei an die vor einigen Jahrzehnten an den meisten Schulen eingeführten Sprachlabors. An sie wurden größte Erwartungen für den Sprachunterricht geknüpft. An vielen Schulen standen sie bald leer. Benutzt wurden sie allenfalls bei Klausuren. Da die Arbeitstische der Schüler durch Wände abgeschirmt waren, konnten die Schüler nun nicht mehr vom Nachbarn abschreiben!

Die Computer wurden aus einem engen praktischem Bedürfnis heraus entwickelt. Sie sollten mathematische Arbeit erleichtern. Heute haben sie aber für die meisten eine ganz andere Aufgabe. Sie ermöglichen Kommunikation und Zugang zu den verschiedensten Informationen in einem einst kaum vorstellbaren Maße. Dies erklärt ihre rasche Verbreitung. Auf die hierdurch entstandenen Vorteile, aber auch Probleme sei hier, da das Thema des Buches überschreitend, nicht eingegangen.

Gegenüber der Rolle des Computers im Mathematik-Unterricht ist hier meine Reserve erkennbar. Damit aber kein falsches Bild entsteht, sei abschließend an Beispielen vorgestellt, in welchem Maße der Computer die Mathematik selbst bereichert hat.

    
behr-a-r@mail.dk