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  Reinhart Behr:   Leben mit Mathematik - V ... im Ruhestand. -

 Inhalt  Vorwort  I: Rolle der Mathematik  II: Studienjahre  III: Referendariat  IV: Lehrberuf  V: Mathematik im Ruhestand

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noch V Ruhestand

Erst im Ruhestand wurde ich Mitglied von Fachlehrer-Vereinigungen. Deren Tagungen boten dann eine Fülle von Anregungen, und deren Zeitschriften inspirierten zu eigenen Publikationen.

Der ländliche Ruhesitz regte nicht nur zum Erleben der Natur der Umgebung an. Natur ist auch der Sternenhimmel. Wie nie früher in der Großstadt, konnte der Blick unverstellt auf die Bahnen der Sterne und des Mondes mit seinem wechselndem Gesicht gerichtet werden.

Es tauchte die Erinnerung an Unterrichtsstunden auf, in denen ich meine Schüler an astronomische Themen heranführte. Die Schüler stellten elementare Fragen wie: "Woher weiß man von der Kugelgestalt der Erde, von der Entfernung von Mond, Sonne und Sternen?

Ich hätte mir viel mehr Mühe geben sollen, hierauf in einfachen Worten einzugehen, statt - wie es meist geschieht - die Schüler mit Fachausdrücken und Berechnungen zu konfrontieren, die bald die Fragelust erlahmen lassen.

Solange junge Menschen noch unbefangen sind, stellen sie ähnliche Fragen wie einst der Naturmensch. Nur dann haben sie auch noch die Fähigkeit zum Staunen, etwa darüber, warum die riesige Steinkugel Mond nicht "herunterfällt". An diesem Beispiel illustrierte der bereits erwähnte Didaktiker Wagenschein die Wichtigkeit von Staunen als Voraussetzung für wirkliches Verstehen.

Wagenschein berichtete von dem Erlebnis, das ein Kollege mit seinem fünfjährigen Sohn hatte. Dieser blickte aus dem Fenster und sagte: "Jetzt ist der Mond verschwunden, ein Auto hat ihn fortgezogen."

Statt - wie wohl die meisten - diese Äußerung als kindlichen Unsinn abzutun, fragte der Kollege den Jungen, wie er darauf komme. Dieser erinnerte an die Autofahrt der Familie am Vortage. Bei dieser habe er im Rückfenster den Mond erblickt. Im Gegensatz zu den Straßenleuchten sei dieser dem Auto ständig gefolgt, also wohl vom Auto gezogen worden. Wenn nun der Mond vom Fenster verschwunden sei, müsse daran wohl ein anderes Auto schuld sein. Eine in sich konsequente Überlegung!

In mir reifte nun der Plan zu einem Buch, das den Prozess der Entdeckung unserer Stellung im Weltraum, von den Vorstellungen der Naturvölker ausgehend, darstellt. Dies sollte mit jedermann zugänglichen Begriffen, aber mit sorgfältigen Begründungen jedes Erkenntnisschritts geschehen, selbst bei so schwierigen wie der Gewinnung des Newtonschen Gravitationsgesetzes oder der Erklärung der Gezeiten

Ich stand so vor einer didaktischen Aufgabe, die mich lange völlig in Anspruch nahm. Sie lag mir wie keine Aufgabe vorher am Herzen. Das Buch sollte Lehrern Anregungen geben, interessierte Laien ansprechen und den Anstoß zum gedanklichen Austausch zwischen diesen und Fachleuten geben.

Als das Manuskript endlich fertig war, versuchte ich alle bekannten, in Frage kommenden Verlage zu interessieren, leider vergebens. Man beurteilte das Manuskript stets positiv, hielt aber das Interesse am Thema z. Zt. für zu gering.

Inzwischen boten die neuen Medien unerwartete Möglichkeiten. Ich veröffentlichte das Buch unter dem Titel "Am Anfang steht ein Blick zum Mond - die Entdeckung unserer Stellung im Weltraum" bei dem neuartigen Druck-Unternehmen "Books on Demand". Dieses bewahrt eingesandte Manuskripte in raumsparenden Kassetten auf und druckt dann bei Bestellungen sofort die jeweils gewünschte Anzahl von Exemplaren.

Das Buch wurde in der Zeitschrift "Astronomie und Raumfahrt im Unterricht" positiv beurteilt und führte - ähnlich das erste Buch über Fraktale - Einladungen zu Vorträgen aus, hauptsächlich vor Lehrern und Didaktikern der Schul -Astronomie.

Dennoch gelang nicht die erhoffte Verbreitung. Es mag sein, dass heutige Leser, durch die faszinierenden Darstellungen auch astronomischer Themen im Fernsehen verwöhnt, kaum durch Darstellungen wie die in meinem Buch angesprochen werden. Fordern diese doch anders als die populären Sendungen sorgfältiges Nachvollziehen oft schwieriger Gedanken.

Geplante Publikationen

Im Laufe der Jahre habe ich diverse mathematische Untersuchungen betrieben. Ihre Ergebnisse möchte ich in einem Büchlein unter dem Titel "Denksport" zusammenstellen, das sich an Lehrer, Schüler und allgemein an Liebhaber der Mathematik wendet.

Nun gibt es bereits zahlreiche derartige Bücher. Warum noch eines?

Nun, die hier ausgewählten Probleme sind zwar - wie üblich - für den Laien sofort verständlich. Hier endet aber die Gemeinsamkeit.

Einige der Probleme etwa lassen sich zwar mit einfachen mathematischen Mitteln lösen, jedoch auch mit den avancierten der Oberstufen-Mathematik. So ergeben sich verschiedene Strategien, deren Vergleich zu einem besseren Verstehen der mit der Mathematik zur Verfügung stehenden Mittel führt.

Bei manchen der gewählten Probleme liegt eine Verallgemeinerung nahe. Das führt teilweise auf noch heute offene Fragen. Diese Probleme habe ich bei Tagungen Kollegen vorgestellt. Das führte zu langjährigen Kontakten, bei denen Kollegen mir immer neue, interessante Lösungswege mitteilten.

Die Lösungen einiger Aufgaben sind selbst für Fachleute überraschend, ja zwangen diese bisweilen sogar zur Korrektur ihrer Aussagen. Manchmal spielt die Psychologie hinein, etwa wenn "mutige" Strategien zu anderen Lösungen führen als "ängstliche".

Einige der Probleme seien hier zur Illustrierung kurz skizziert. Sie stammen aus den Gebieten Zahlentheorie, praktische Anwendungen und Geometrie.

- Mit einem Lineal kann man alle ganzzahligen Strecken bis zur vollen Lineallänge abmessen. Wann ist dies auch möglich, wenn ein Teil der Markierungen fehlt? Die Untersuchung erfordert nur die Kenntnis der natürlichen Zahlen, führt aber, verallgemeinert, auf tiefe, noch heute offene Fragen.

- Ein langer Quader mit quadratischem Querschnitt schwimmt auf Wasser. Welche Lage nimmt er ein? Überraschend zeigt sich, dass diese unter gewissen Umständen unsymmetrisch ist. Selbst erfahrene Physiker hielten dies zunächst für unmöglich.

- Ein Quader befindet sich auf einem liegenden Zylinder. Wann ist seine Lage stabil? Die Antwort erfordert sorgfältige geometrische Untersuchungen.

- Ein Wagen mit quadratischen Rädern "hoppelt". Wie kann man dies durch Abänderung der Fahrbahn vermeiden? Die Antwort erfordert Vertrautheit mit den Eigenschaften einer Kettenlinie.

- Ein Flugzeug soll die Erde umrunden. Hierzu wird es durch andere Flugzeuge in der Luft aufgetankt. Die Treibstoffkapazität wird zur Erschwerung des Problems laufend verringert. Eine volle Lösung des Problems, ja selbst der Ansatz zu einer Lösungsstrategie, stehen noch aus.

- Ein Gefangener sucht einen Fluchtweg. Ist er mutig, wählt er einen anderen als wenn er ängstlich ist. Ständig werden bessere Lösungen vorgeschlagen.

- Ein Wanderer will eine Wüste durchqueren, wozu man fünf Tage braucht. Am Ausgangspunkt kann er beliebig viele Behälter mit Wasser für einen Tag füllen. Er kann aber nur drei davon tragen und stellt daher zwischendurch Behälter ab, um neues Wasser zu holen. Wie viel Tage braucht er nun insgesamt?

Die letzte Aufgabe wurde hier im vollen Wortlaut wiedergegeben. Dann kann man nämlich nachvollziehen, dass ein begabter Schüler selbst Fachleuten überlegen sein kann. Die Aufgabe wurde für die Schul-Mathematik-Olympiade Westberlins durch eine Gruppe von Lehrern gestellt, der ich auch angehörte.

Wir erwarteten als Antwort 15 Tage. Ich sah die eingesandten Lösungen durch und wollte die eines Schülers gerade fortwerfen, denn er nannte 12 Tage. Da entdeckte ich bei näherem Hinsehen, dass der Schüler recht hatte. Wir Lehrer hatten nämlich an ein Abstellen der Wasserbehälter nach vollen Tagen gedacht, während der Schüler die Möglichkeit erkannte, diese Behälter bereits nach einem halben Tag abzustellen!

Nach Fertigstellung des Denksport-Büchleins habe ich mir eine Aufgabe gestellt, die mich mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Ich möchte Material als konkrete Hilfe für Lehrer zusammenstellen, die nach solchen Vorstellungen wie von mir unterrichten wollen.

    
behr-a-r@mail.dk